Dorfgschichte und Legände
Die folgenden Texte stammen aus den Notizen von Elisabeth Gertrud Degen, geboren am 07.11.1928, die Ehefrau von Peter Hügin-Degen.
Unser Dorf in den 30-ger Jahren
In meiner Jugend zählte das Dorf 1800 – 2000 Einwohnerinnen und Einwohner. Damals kannte man noch alle Menschen, die hier wohnten. Einzig jene auf der anderen Seite des „Jordans“ (Birsig) waren für uns Fremde. Man kannte höchstens die Schüler, die mit uns das Wehrlinschulhaus besuchten. Geteerte Strassen gab es noch nicht. Die Wege waren mit Merkel bedeckt und die Fuhrwerke mit ihren Eisenrädern klapperten durch das Dorf und hinterliessen bei Nässe und Regen tiefe Rinnen.
Die Menschen im Dorf
Vor allem lebten Kleinbauern hier, die mit ihren paar Kühen eine Existenz aufbauten. Andere arbeiten in Basel, wovon viele in der Bandfärberei beschäftigt waren. Weil die Männer nachmittags nicht zum Essen heimkommen konnten, wurde extra ein Essensdienstwagen bei der Birsigthalbahn eingesetzt. Um 11.30 Uhr kamen die Frauen zum Statiönli und stellten das Essen in Körben oder in kleinen Kistchen in den speziellen Wagen. Am Samstag kaufte man bereits das Essensbillet für die kommende Woche, das dann mit Reissnägeln am Essenskorb befestigt wurde. Um 12.00 Uhr dann strömten von allen Seiten die Arbeiter zur Heuwaage und es war ein vertrautes Bild zu sehen, wie die Männer auf der Rampe sitzend ihr warmes Essen verschlangen.
Am Abend brachte jeder sein Essensgeschirr wieder heim, damit für den nächsten Tag wieder vorbereitet werden konnte. Das Essenskistli von meinem Vater habe ich heute noch. Früher gab es viele Leute mit den gleichen Nachnamen: Degen, Düblin, Hügin, Seiler, Thürkauf, Wehrlin usw. Darum gab man ihnen einen Dorfnamen, der den Beruf, den Namen eines Vorfahrens, eines besonderen Merkmals (z.B. Rotsepp) kennzeichneten. Es gab natürlich auch Spitznamen, die die Leute nicht besonders freuten (z.B. Cheerli).
Schule
In Oberwil gab es eine Primar- und eine Sekundarschule. Die 1. Klasse besuchten wir alle bei Fräulein Sütterlin im klassizistischen Glöcklischulhaus, das bei der heutigen Gemeindeverwaltung stand. Wie schade, dass alles in der Euphorie der Hochkonjunktur der Spitzhacke zum Opfer fiel. Unschätzbare Kulturgüter unseres Dorfes sind so für ewig verloren, so auch das Statiönli, für das sich die Klasse von Agahta vehement aber vergebens eingesetzt hatte.
Von der 2. bis zur 6. resp. 8. Klasse waren wir im Wehrlinschulhaus untergebracht, wo Lehrer Düblin, Hügin, Weber und Seiler mit Meerrohr und Strenge die Kinder in Schach hielten. Ja, dazumal waren der Lehrer, der Arzt und der Pfarrer die Respektpersonen im Dorf. Die Mädchensekundarschule befand sich im heutigen Sprützehüsli, die Knaben mussten nach Therwil in die Bezirksschule. Nach Auflösung der Mädchensekundarschule wurde das Klassenzimmer im Feuerwehrmagazin frei und auch die Mädchen mussten nun in Therwil die Mittelschule besuchen. Jetzt konnte also hier unsere Kindergärtnerin Frau Hauser das Zepter schwingen. Sie hatte es ja auch nicht so leicht, 40 oder mehr Kinder bei der Stange zu halten. Wenn wir zum Bänkliwald durften, auf der anderen Talseite bei der reformierten Kirche, hielten wir uns immer 2 und 2 an einem Seil mit Querhölzern, damit wir ja nicht verloren gingen.
Beizen, Restaurant
In unserem Dorf mit knapp 2000 Einwohnern gab es 11 Beizen: Schützengarten, Schwanen, Schlüssel, Central, Laub (heute Ochsen), Krone, Posthörnli, Station mit Bahnbilletschalter, Jägerstübli, Ziegelei, Brauerei. Und alle haben rentiert! Grossvater Peter hat erzählt, dass die Bauern am Abend die Milch zur Sammelstelle brachten. Der Centralwirt stellte ein paar Stämpfeli Schnaps auf die Fensterbank, damit die Bauern sich vor der Milchlieferung ihren Magen noch aufwärmen konnten. Nachher kamen sie zu einem Schwatz oder Jass in die Beiz zurück.
Dr Glöckliwagen
Soviel Abfall wie heute hatte man zu meiner Kindheit noch nicht. Da gab es noch keinen Plastik und die Rüstabfälle landeten auf dem Mist. Das wenige Papier wurde zum Anfeuern verwendet und auch fürs WC wurden Zeitungen zugeschnitten. Jeden Freitag fuhr der Glöckliwagen durch das Dorf und sammelte alles ein, was man nicht mehr brauchen konnte. Vorne auf dem Bock bimbelte eine Glocke, damit man wusste, dass es höchste Zeit sei, den Unrat bereitzustellen. Man glaubt es heute kaum mehr, aber der ganze Ballast wurde in der „Allme“ in den Kuhgraben geleert, dessen Wasser heute noch den Naturweiher speist. Später landete der Müll auf dem Stallen an der Bottmingergrenze, wo man jahrelang den Gestank noch riechen konnte.
Dr Wächter
Da gab es noch keine Annoncen und Zeitungen. Der Wächter, der Ortspolizist war, musste die Befehle und Anzeigen ausrufen. Ungefähr alle 100 Meter blieb er stehen, hat ganz energisch mit einer Glocke geklingelt, damit die Frauen zum Fenster hinauslehnen oder auf die Strasse rennen konnten. Mit sonorer Stimme hat er dann die wichtige Botschaft ausgerufen.
Etwas ganz besonderes ist mir zur Zeit der Rationierung während des Weltkrieges in Erinnerung geblieben. Wenn ein Bauer zum Beispiel eine Kuh notschlachten musste, wurde das Tier im Notschlachthaus neben dem Schwanen zerteilt (Das Schlachthäuschen an der Mühlegasse steht heute noch).
Also kam der Wächter wieder zum Zuge. Er rief durch die Strasse: heute wägt die Schlachtviehgenossenschaft eine Kuh aus. Die Bevölkerung kann das Fleisch mit halben Marken beziehen. Das Kilo kostet 2 Franken. Man musste aber schon Glück haben, wenn man dabei ein anständiges Stück ergattern wollt.
Aus den Notizen von Elisabeth Getrud Degen, geboren am 07.11.1928, die Ehefrau von Peter Hügin-Degen.
Dr Garte
Im Summer isch s’Grossmutti, Ottilia Wittlin, in Seilers Garte, obe am Restaurant Ochse go pflanze und go wärche. Aes het e ‚ grüene Duume gha, wie me so so seit. Tomate, Rüebli, Chabis, Lauch, Salat, Trübeli, Aerbeeri, alles isch ihm grote. Mit Freud het äs mir als so ne frisch knackigs Rüebli usgrabe, am Schurz abbutzt und mir zuegsteckt. Am Obe hets denn all die früsch g’ärnteti Herrligkeit ufs graugrüen, abgschabte Stossbährli glade und wenn denn no ne Plätzli frei gsi isch, han i au no dörfe ufsitze und heimzue ryte. Scho isch an Winter dänggt worde. Vorsorglig het äs Confi ygchocht und Frücht sterilisiert. D’Bohne sin nach em Abschwelle uf e starke Fade mit ere Nodle ufgfädlet worde. S’Grossmutti und s’Mutti hän mitenant die langi Bohnegirlande uf en Eschtrig treit und dört zum Trögne unter em Dach ufghängt. Im Winter denn hets dürri Bohne und Spägg gä, das isch für uns e herrligs Aesse gsi.
Lisbeth Degen-Faller