Zirkus Sarasani
„1912 wurden Plakate vom Zirkus Sarasani an Wänden und Scheunen geklebt. Für uns Buben ein grosses Staunen und Drängen zu Hause, den Zirkus sehen zu dürfen. Mit Wittlin Gusti, Bering Karli und anderen marschierten wir nach Basel auf die Margarethenwiese, wo die Zelte und Wagen mit den grossen Plakaten des Zirkus Sarasani zu sehen waren. Geld hatten wir keines und konnten deshalb auch keine Vorstellung besuchen. Aber wenn so ein Zirkusmensch heraus kam und das Zelttuch bei Seite schob, erhaschten wir Sekunden lang einen Blick in diese Wunderwelt. Stolz ging es dann wieder heim zu, wo wir sehr fantasievoll unsere Erlebnisse mit dem Zirkus zum Besten gaben. Die Plakate mit den auf den Kübeln sitzenden Elefanten, den edlen Reitern, den Tiger, das gewaltige Zirkuszelt, die Wagen mit den dressierten Tieren, die grossartig gekleideten Akrobaten. Das alles hatte mich wieder einmal in seinen Bann gezogen, so dass es nicht allzu lange ging, bis ich auf unserer Heubühne auch einen Zirkus eingerichtet hatte. Ich war der Zirkusdirektor mit einer langen Haselrute mit „Zwick“, die knallte wie echt. Weber Freddel schwang sich mit den Ringen am Seil, das zuoberst am Dachbalken befestigt war und rief bis er heisser wurde Zirkus Sarasani. In den leeren Kisten von unserem Spezereilädeli waren die „wilden Tiere“ untergebracht, die fürchterlich schrien und auf den leeren Schmutzkübeln sassen die Elefanten. Der Eintritt kostete 2 Centimes und das Publikum musste, wie schon vorher alle Zirkusangestellten, das Heuleiterli hinauf, um den Zirkus auf der Heubühne zu sehen. Nicht alle hatten 2 Centimes, einige nur einen und einige auch keinen. Da aber das Publikum meistens aus 3-7 jährigen Knirpsen bestand, waren wir grosszügig und liessen alle auf unsere Bühne. Nach der lautstarken Vorstellung hatten wir einen Reingewinn von 35 Centimes zu verteilen. Elefanten und Tiger, die an der Vorstellung sowieso nur schreien mussten, brauchten wir bei der Teilung der Beute nicht zu berücksichtigen. Es blieben noch die 3 Hauptdarsteller, Weber, Freddel, Meier Ernst und ich als Besitzer und Direktor. Einstimmiger Beschluss: für 35 Centimes im Schlüssel, der Bäckerei und Wirtschaft, eine Schokolade zu kaufen. In unserem Lädeli verkauften wir natürlich auch „Schoggi“. Aber da wollte ich nicht hinein, sonst hätte ich vom Gewinn reden müssen. Also kauften wir die „Schoggi“ im Schlüssel und verteilten sie nach Ansprüchen. Ich wollte die Hälfte, weil alles mein war. Freddi protestierte, er habe mehr gebrüllt als alle anderen und Ernst wäre auch mit einem Drittel zufrieden gewesen. Zuletzt war die Schoggi in meinen Händen weich geworden, wir rissen sie einander aus den Händen und am Schluss war der beanspruchte Teil eine jämmerliche Schoggisauce.“
Jacques Düblin (1901 – 1978)